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Von Eitelkeiten und einer ausgebeulten Jogginghose - Künstlergespräch mit Philippe Boucly

Am 07. Juni 2023 bereicherte ein weiterer Abend unsere Reihe der Künstlergespräche im St. Michaelssaal. Zu Gast war Philippe Boucly, seit rund 30 Jahren Solo-Flötist im BRSO. Kurz vor seinem altersbedingten Abschied vom Orchester stellte er sich den Fragen von Wolfgang Gieron – beide verrieten, was sich so hinter den Kulissen eines solchen weltberühmten Orchesters abspielt.

In seiner Begrüßung stellte Wolfgang Gieron seinen ehemaligen Kollegen Philippe Boucly vor. Er stammt aus dem Elsass, nach ersten Engagements in Toulouse und Berlin landete er dann schon 1986 beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, "das war für mich eine Traumstelle", so Boucly. In München verliebte er sich sofort, weil ihm immer wieder ein herzhaftes "Grüß Gott" entgegengeschmettert wurde. Neben seiner Tätigkeit im Orchester gab er sein Wissen als Dozent weiter, u. a. als Honorarprofessor an der Frankfurter Musikhochschule und am Richard-Strauß-Konservatorium in München. Dieser Ausgleich durch die pädagogische Arbeit war ihm stets wichtig.

Wolfgang Gieron betonte, dass es ungewöhnlich ist, dass ein Musiker als Solo-Instrumentalist bis zum Rentenalter dabeibleibt, "das war ein absolutes Glück für unser Orchester". Er würdigte Philippe Bouclys absolute Zuverlässigkeit, die durchaus nicht selbstverständlich sei. Boucly berichtete, dass er sich seine Stelle 50/50 mit einem Kollegen teile, was in der Regel zwei Wochen pro Monat Dienst bedeute (außer auf langen Konzertreisen, auf der man manchmal auch in Doppelbesetzung unterwegs sei). Hier warf Gieron ein: "Das klingt locker, nur zwei Wochen pro Monat zu arbeiten. Aber dazu kommt das dauernde Üben, Üben, Üben!" Außerdem müsse man als Solo-Instrumentalist sehr stabile Nerven haben, um immer zu funktionieren – "Philippe, wie machst Du das?". "Man lernt bereits im Studium, mit Druck-Situationen umzugehen. Sich mental auf Auftritte vorzubereiten, ist wirklich wichtig - alles eine Sache der Konzentration! Man ist dann wie in einer Blase, total fokussiert."

Anschließend wurde über die Besonderheiten des Holzbläsersatzes im Orchester gesprochen. Denn diese Instrumentenfamilie ist sensibel, es ist immens herausfordernd, bei acht, 16 oder mehr Holzbläsern einen harmonischen Klang zu erzeugen. Jeder Versuch, auch bei einer Oktave Unterschied, muss direkt sitzen, eine zweite Chance gibt es nicht. Hier zeigt sich die Qualität eines Orchesters besonders deutlich, der gesamte Holzbläsersatz ist im BRSO eine tadellose Einheit.

Nun entspann sich ein Austausch über die verschiedenen Persönlichkeiten, die das BRSO über die Jahre hin (in denen Gieron und/oder Boucly Teil des Orchesters waren) dirigiert haben. Rafael Kubelík studierte als zweiter Dirigent des BRSO mit seinem Orchester bestimmte Mechanismen ein, die noch heute vom Klangkörper ausgeführt werden und es somit bis heute prägen. Sir Colin Davis, während dessen Zeit Philippe Boucly bei einem Probespiel entdeckt wurde, gab dem Orchester viel Raum, sich zu entfalten. Es folgte Lorin Maazel, der in seiner Art überaus fordernd und in seiner Probenarbeit effizient durchgetaktet war. (Seinen extremen Honorarforderungen konnte übrigens nur durch rund 60 Tourneekonzerte nachgekommen werden.) Die Zusammenarbeit war nicht immer einfach, seine Launen und sein Umgang verlangten den Musikerinnen und Musikern viel ab. Doch musikalisch hat das BRSO durch seinen Ehrgeiz und seine anspruchsvolle Stückeauswahl einen großen Sprung nach vorn gemacht. Und privat – so versicherte Wolfgang Gieron – empfand er Lorin Maazel als sehr zuvorkommend. Doch als Lorin Maazel in Ottobeuren einmal ein Konzert durchgängig mit geschlossenen Augen dirigierte, rief dies größten Unmut hervor. So drängten die Orchestermitglieder darauf, dass der nächste Chefdirigent ein deutlich emotionalerer Mensch sein sollte. Der Orchestervorstand, dem Philippe Boucly derzeit angehörte, wurde zu Terminen mit in Frage kommenden Kandidaten eingeladen. So kam es unter anderen zu Gesprächen mit Mariss Jansons, der seinerzeit noch nicht so bekannt war. Jansons war sehr zugewandt und stellte viele Fragen. Schließlich wollte er das BRSO bei einem Konzert in Bad Kissingen dirigieren und so näher kennenlernen. Das fühlte sich fürs Orchester wie ein gemeinsames Probespiel an. Jedenfalls lief es so gut, dass Jansons Ehefrau Irina meinte: „Das ist genau Dein Orchester!“ Und so begann für das BRSO eine wunderbare Zeit mit einem wunderbaren Dirigenten, der es verstand, die Balance auszutarieren zwischen Freiheit geben und Leitung innehaben. Mit Jansons wurde das BRSO international deutlich präsenter und spielte auf Festivals und in den berühmtesten Konzertsälen der Welt. Jansons glänzte durch seine Menschlichkeit, genoss als Chef bei seinen Musikerinnen und Musikern höchsten Respekt. „Die Jahre mit ihm als Dirigenten waren die schönsten meiner 35jährigen Karriere“, so Boucly. Leider endete die Ära Jansons durch eine todbringende Krankheit viel zu früh.

Unter den Gastdirigenten griffen Gieron und Boucly in ihrem Gespräch insbesondere Sir Georg Solti und Carlos Kleiber heraus und hatten so manche Anekdote zu erzählen. Solti war Chefdirigent in Chicago und war von seinem Wirken und dem Orchester dort mehr als überzeugt – stets war dort immer alles „am besten“. Boucly zitierte ihn mit den Worten: „Kennen Sie den Piccolo-Flötisten in Chicago? Das ist der Beste! Spielen Sie einfach wie der Zweitbeste!“. Zu einer jungen Harfenistin sagte er einmal: „Kennen Sie den Harfenisten in Chicago? Das ist der Beste!“. Daraufhin reagierte die Musikerin schlagfertig: „Ich habe das gleiche Werk wie dieses hier schon letzte Woche gespielt – unter dem besten Dirigenten…“ und hatte damit die Lacher auf ihrer Seite. Auch über Carlos Kleiber gab es eine amüsante Geschichte zu hören. Kleiber hatte eine riesige japanische Fangemeinde, zwei Jumbo-Jets flogen extra zu einem Konzert auf den Kanaren ein. Abends in der Hotellobby entdeckte eine japanische Gruppe Carlos Kleiber, wie er in einer ausgebeulten Jogginghose in die Hotelbar ging, begleitet von ungläubigen Blicken und vielen „oh-ohs“. Die im St. Michaelssaal versammelten Freunde hatten sichtlich ihren Spaß an den Plaudereien aus dem Nähkästchen…

Die Coronazeit der letzten Jahre fand Boucly zwar eher schwierig, kann der Phase aber immerhin ein Gutes abgewinnen: „Es entwickelten sich aus der Not neue Konzepte, und wir wurden bei alternativen Auftrittsformen kreativ.“

Mit Beginn der neuen Saison dürfen sich das Orchester und seine Anhänger auf den neuen Chefdirigenten Sir Simon Rattle freuen. Rattle bringt schon jetzt innovative Ideen ein, indem er mit dem BRSO für einen „Symphonischen Hoagascht“ mit traditionell bayerischen Blasmusikern kooperiert. Wolfgang Gieron ist begeistert: „Für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks werden das goldene Jahre werden! Denn Simon Rattle ist nicht nur ein unglaublicher Dirigent, der eine ausgeprägte Gabe zur Emotion hat und die Stimmung fantastisch ‘rüberbringt, er ist darüber hinaus ein Kommunikationsgenie: immer diplomatisch, dabei aber klar in der Sache.“ Eine Eigenschaft, die in der Frage des Neuen Konzerthauses München dringend benötigt wird, für dessen Bau sich Simon Rattle engagiert. Und nicht nur für die Jugend, sondern auch für unseren Freunde-Verein hat Simon Rattle ein großes Herz; er hat schon zugesagt, dass er gerne zu einem Künstlergespräch mit Wolfgang Gieron bereitsteht.

Der Gesprächsgast dieses Abends, Philippe Boucly, ist nun gespannt, was die Zukunft für ihn bringt. Die Winterzeit will er mit seiner Frau weiterhin in München verbringen, die Sommerzeit an seinem zweiten Wohnsitz in der Nähe von Toulouse. Doch bei einem ist er sich ganz sicher: „Ich werde weiterhin regelmäßig Flöte spielen; das ist gesund und beugt Alzheimer vor. Meine Berufstätigkeit war für mich ein , da hört man nicht so einfach auf!“.

Wolfgang Gieron verabschiedet seinen langjährigen Weggefährten mit den Worten: „Lieber Philippe, vielen, vielen Dank, dass wir so viel von Dir erfahren durften. Alles Gute für Dich! Ein wahrhaft Großer verlässt das Orchester – hoffentlich wird die Lücke bald geschlossen.“

Text und Fotos: Ulrike Mosbach


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